Besonderes Kennzeichen der erzählerischen Werke Meyers sind deren stilistische Knappheit und Gedrängtheit, die schon den Zeitgenossen auffiel, manchmal in bewundernder Weise, manchmal aber auch aus kritischem Blickwinkel. Meyers Werke sind daneben oft durch einen hintergründigen Humor gekennzeichnet. Als Nebenfiguren kommen in einer Art Rahmenhandlung manchmal prominente Personen vor, etwa der Schwedenkönig Gustav Adolf (in »Gustav Adolfs Page«), Ludwig XIV. (in »Die Leiden eines Knaben«) oder Dante Alighieri (in »Die Hochzeit des Mönchs«). Dabei setzt der Dichter voraus, daß der Leser über die Bedeutung dieser Nebenpersonen informiert ist.
Der Text des vorliegenden Neusatzes folgt den Ausgaben von 1905 und 1922, erschienen im H. Haessel Verlag, Leipzig. Die altertümliche Rechtschreibung wurde beibehalten.
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898), Schweizer Dichter des Realismus, gehört mit Gottfried Keller und Jeremias Gotthelf zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schweizer Dichtern des 19. Jahrhunderts. Einige Jahre seiner Jugend lebte er in Lausanne. Noch bevor er zwanzig war, kam er das erste Mal wegen schwerer Depressionen in eine Nervenheilanstalt. Nach dem Tod der Mutter gelangte er durch eine Erbschaft in gesicherte Verhältnisse. Der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich 1870/71 stürzte Meyer, der in beiden Kulturen lebte, in einen tiefen Zwiespalt. Nach dem deutschen Sieg entschied er sich für die deutsche Literatur. Literarischen Erfolg hatte er zuerst 1872. Vier Jahre später erschien der Roman »Jürg Jenatsch«, 1877 die humoristische Kurznovelle »Der Schuß von der Kanzel«. Der Abdruck von »Der Heilige« durch den renommierten Herausgeber Julius Rodenberg in der Deutschen Rundschau festigte Meyers Ruf als herausragender Erzähler. In der folgenden Zeit erschienen fast im Jahresrhythmus historische Novellen und Romane. 1888 befielen Meyer wieder schwere Leiden. Sein letztes Werk »Angela Borgia« konnte er nur noch mit Mühe fertigstellen. 1892 wurde er erneut in eine psychiatrische Heilanstalt eingewiesen. Er geriet immer mehr in einen Dämmerzustand und wurde 1893 ohne nennenswerte Besserung entlassen. Seine letzten Jahre verbrachte er, von seiner Frau gepflegt, in seinem Haus in Kilchberg, wo er im Alter von 73 Jahren verstarb.
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