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Vor einem halben Jahre war es. Am 10. Oktober. Da fiel in mein bescheidenes ärztliches Heim in einer österreichischen Kleinstadt unweit von Wien ein Kabeltelegramm. Es war an meine Nichte Emilie gerichtet, die als Doppelwaise unter meiner Vormundschaft in meinem Hause wohnte, kam aus New Orleans von ihrem Bräutigam und enthielt die Nachricht, daß dieser, der ehemalige deutsche Hauptmann Karl Lindner, sie am 12. Oktober, um 11 Uhr vormittags, zur Trauung abholen werde. Die beiden waren seit 1918 mit einander verlobt. Seit dem Jahre 1919 waren die Briefe Lindners sehr spärlich geworden. Die Korrespondenz des Brautpaares wurde durch ein Lebensmittelexporthaus in Rotterdam vermittelt. Wir konnten aus Lindners Briefen nicht entnehmen, wo er sich aufhalte und wovon er lebe. Dagegen sparte er nicht mit Beteuerungen unwandelbarer Liebe und Treue. Plötzlich verlangte er von uns, wir sollten Emilie nach Rotterdam schicken, wo er sich mit ihr trauen lassen wollte. Unter dem Einfluß meiner Frau, der unklare Verhältnisse ein Greuel sind, weigerte sich Emilie und erklärte in ihrem letzten Brief, sie lasse sich nur in der Kirche ihrer Vaterstadt trauen. Auf diesen Brief blieb Lindner vier Monate die Antwort schuldig; nun kam plötzlich dies sonderbare Kabeltelegramm. Sonderbar? Selbstverständlich. Die Depesche war am 9. Oktober in New Orleans aufgegeben worden. Von dort konnte Lindner mit der raschesten, derzeit bestehenden Verbindung, dem Eildampfer nach Le Havre, frühestens am 15. in Europa sein. Von der französischen Küste brauchte er noch mindestens zwei Tage hierher. Sollte es sich nicht um einen Druckfehler handeln? Am nächsten Tage, am 11., kam wieder ein Kabeltelegramm Lindners. Diesmal aus San Franzisko, dort am 10. aufgegeben. Er wiederholte seine Bitte vom vorhergehenden Tage, die Trauung für den 12. Oktober, 11 Uhr vormittags, anzusetzen und bat von allen äußerlichen Festlichkeiten, Einladungen, Hochzeitsmahl und dergleichen abzusehen, da er mit seiner Frau unmittelbar nach der Trauung abreisen müsse. Die Sache wurde immer rätselhafter. Ich konnte mir noch vorstellen, daß ein neuartiges Luftschiff den Weg von New Orleans nach Wien in drei Tagen zurücklege; aber die Strecke von San Franzisko nach Wien, mehr als zwanzigtausend Kilometer Luftlinie in zwei Tagen? Einen Motor, welcher derartig märchenhafte Leistungen als Durchschnittsarbeit zeitigte, gibt es nicht. Wird es auch nie geben. Wenn er aber schon geschaffen wäre, ohne daß die Welt davon wüßte? - Wie ...
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